Wildschweine und Atomreaktoren
Es ist Sonntag Nachmittag, die Sonne scheint und man spaziert mit der Familie durch den Königsforst. Die Natur genießen, mit den Kindern die Wildschweine und Rehe füttern und plötzlich trifft man auf einen Zaun mit einem gelben Warnschild. „Vorsicht Strahlengefahr“. Hinter dem Zaun liegt die Kernforschungsanlage Königsforst.
So zumindest hat es sich die Politik 1956 wohl vorgestellt. Drei Jahre zuvor hatte die Universität Bonn das Institut für Strahlen- und Kernphysik gegründet und nun, nachdem die letzten Forschungsverbote der Alliierten im Mai 1955 aufgehoben wurden, wollte man einen Versuchsreaktor aufbauen, der gemeinsam mit den anderen nordrhein-westfälischen Universitäten genutzt werden könne.
Gefühlt hatte Deutschland zu diesem Zeitpunkt viel aufzuholen. Zwar war es mit Otto Hahn ein Deutscher, dem 1938 die erste Kernspaltung gelang, doch die Träume des „Goldenen Atomzeitalters“ wurden zu dieser Zeit vor allem in den USA & Großbritannien geträumt. Die Ideen waren grenzenlos. Unser Freund das Atom (Video von und mit Walt Disney im Auftrag der amerikanischen Regierung) sollte nicht nur Strom produzieren, sondern auch Schiffe, Flugzeuge und sogar Autos mit Hilfe von Minireaktoren antreiben. So war es auch kein Wunder, dass Konrad Adenauer mit der Gründung des Bundesministeriums für Atomfragen (dem heutigen Bundesministerium für Bildung und Forschung) und der Ernennung von Franz Josef Strauß zum Atomminister die Entwicklung von ganz oben ankurbeln wollte.
In NRW war es vor allem Staatssekretär Leo Brandt, der sich dafür einsetzte den allgemeinen deutschen Forschungsrückstand aufzuholen. Er drängte nicht nur Ministerpräsident Karl Arnold 1950 zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (die heutige Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste), sondern war sechs Jahre später auch eine der treibenden Kräfte hinter dem geplanten Forschungszentrum.
Man hatte sich bereits mit den Briten darauf geeinigt, den Britischen 5MW Material-Testreaktor vom Typ Schwimmbadreaktor MERLIN zu kaufen. Als Standort wurde der Königsforst bei Köln auserkoren, da er über die bestehende Autobahn schnell von den Universitäten Köln, Bonn, Aachen und Münster erreichbar wäre.
Sicherheitsbedenken nicht die einzige Sorge der Bürger
Dass dies bei den Kölner Bürgern nicht unbedingt auf Gegenliebe traf, ist wohl nicht überraschend. Gründe gab es genügend. Neben der kleinen Minderheit, die Atomanlagen grundsätzlich ablehnte, war den meisten Bürgern vor allem der Standort ein Dorn im Auge. Viele Menschen glaubten den Beschwichtigungen aus Düsseldorf nicht, dass der Reaktor absolut sicher sei.
Auch die Eigenschaft als primäres militärisches Ziel im Falle eines neuen Krieges beunruhigte die Menschen. Selbst wer sich über die Sicherheitsbedenken hinwegsetzen konnte, verlangte immer noch Aufklärung darüber, warum denn ausgerechnet das wichtige Natur- und Naherholungsgebiet für den Bau, zumindest teilweise, geopfert werden müsse. So forderte die Arbeitsgemeinschaft der Bürgervereinigungen Köln: „Wir haben im Zeichen des modernen Industriezeitalters dafür Verständnis, daß im Interesse unserer Industrie in der Nähe von Köln ein Atomreaktor errichtet wird. Wir können uns jedoch nicht damit einverstanden erklären, daß dieser Atomreaktor in der einzigen größeren Naturlunge, die die Großstadt Köln noch besitzt, nämlich im Königsforst, errichtet werden soll. Wir bitten deshalb höflichst die Stadtvertretung und die Stadtverwaltung Köln, wie auch die Presse, sich dafür einzusetzen, daß dieser Atomreaktor an einer anderen Stelle errichtet wird.“
Konsequenterweise gab es bei einer Bürgerversammlung im Rather Gasthaus Krein, welche die Kölnische Rundschau in ihrer Ausgabe vom 07.07.1956 als „Massenversammlung von bisher nicht gekanntem Ausmaß“ betitelte, auch keine einzige Ja-Stimme für den Bau des Reaktors. Trotz der Überzeugungsversuche des extra aus dem Wirtschafts- und Verkehrsministerium in Düsseldorf angereisten Ministerialrats Speicher. Nicht weniger begeistert wurden die Verantwortlichen in der Steinbreche in Refrath empfangen, wo sich der Heimat- und Bürgerverein Refrath mit seinem Vorsitzenden Peter Bürling sowie Vertreter aus Dellbrück, Brück, Bensberg und Bergisch Gladbach klar gegen die Pläne positionierten. Denn auch im Kölner Umland war man alles andere als begeistert von der Aussicht, einen Atomreaktor vor die Haustür gesetzt zu bekommen.
Es soll ja ungefährlich sein. Ich als Frau kann das nicht beurteilen. Aber ich habe Angst, dass wir wieder die Dummen sind, wenn vielleicht eines Tages Bomben fallen. Wir haben dies ja schon einmal erlebt.
Mit Blick auf die nahenden Kommunalwahlen wurde von der Stadtverwaltung und auch von Oberstadtdirektor Max Adenauer, der die Verhandlungen mit der Landesregierung führte, immer wieder betont, dass noch nichts entschieden sei, auch wenn aus internen Dokumenten und Briefen hervorgeht, dass durchaus die Überlegung und auch Forderung da war, sich über die Bürgerproteste hinwegzusetzen. Trotzdem meldete die Kölnische Rundschau schließlich im November, dass man sich in Düsseldorf dazu entschieden habe, einen anderen Standort auszuwählen. Offiziell hieß es dazu, dass der geplante Standort im Königsforst, nach sorgfältiger Prüfung, nicht den technischen Voraussetzungen entsprach. Somit ging das Projekt nach Jülich bei Aachen, wo es heute als Forschungszentrum Jülich zu den größten Forschungszentren Europas gehört. Der Forschungsreaktor MERLIN (bzw. in Deutschland als FRJ-1 eingetragen) wurde bis März 1985 betrieben und zwischen 1995 und 2008 zurückgebaut. Heute steht nur noch eine, symbolisch zum Abschluss der Arbeiten gepflanzte, Eiche an seiner Stelle und auch das Forschungszentrum Jülich ist kein Kernforschungszentrum mehr.
Wir bedanken uns beim Forschungszentrum Jülich für das Bereitstellen der beiden Bilder der ehemaligen Reaktoren MERLIN & DIDO.
Eine interessante Reise durch die Geschichte des Forschungszentrum findet Ihr hier: 60 Jahre Forschung im Zentrum
Weitere Quellen: Historisches Archiv der Stadt Köln Acc.2 2641