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Sie wollten nicht für den Führer sterben

Sie wollten nicht für den Führer sterben

Langsam wird es wieder wärmer in Köln. Die Natur erblüht mit neuem Leben und der Krieg neigt sich dem Ende zu. Auch für den jungen Jakob soll ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Er ist auf Genesungsurlaub, um sich vom Grauen des Krieges zu erholen. Von der Ostfront zurück in seinem Heimatsveedel Köln-Ostheim. Beschwingt von Frühlingsgefühlen entscheidet sich der 22-jährige Obergefreite dazu seiner Marianne das Ja-Wort zu geben.  

Wenige Tage später nehmen amerikanische G.I.s das linksrheinische Köln ein. Sicherlich auch mit der Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende bemüht sich der junge Mann um eine Verlängerung seines neuntägigen Heiratsurlaubs, der eigentlich am 11. März 1945 enden sollte. Der Postweg ist zu dieser Zeit schon weitgehend zusammengebrochen, er erhält die Genehmigung lediglich fernmündlich.

Genau dies wird ihm zum Verhängnis, denn die Information kommt nie bei seiner Kompanie an. Am 23. März schreibt ihn sein Vorgesetzter zur Fahndung aus – wegen Fahnenflucht. Knapp zwei Wochen später wird Jakob verhaftet.

Jakob Brock © NS-DOK, N2745,1
Jakob Brock © NS-DOK, N2745,1

Über die genauen Umstände seiner Festnahme ist dabei nichts bekannt. Genauso wenig über den Ablauf seines „Verfahrens“ vor dem Schnellgericht der NS-Militärjustiz. Seine Frau bekommt von all dem nichts mit. Sie sitzt zuhause und wartet auf die Heimkehr ihres Vermählten. 

Doch statt nach Hause wird dieser in die Wälder Dünnwalds gebracht. Hier, wo die Buschwindröschen ihre weißen Blütenköpfe als Vorboten des Frühlings gen Himmel strecken, existiert seit 1887 eine von den Preußen errichtete Schießanlage. Nicht weit von dieser wird der 22-jährige Jakob Brock am 7. April 1945 von den Henkern des NS-Regimes erschossen. Sieben Tage später wird das rechtsrheinische Köln befreit. Im November des gleichen Jahres erblickt Jakobs Tochter das Licht der Welt.

Denkmal für die Opfer der NS-Militärjustiz

Diesem und mehr als zwanzig weiteren Einzelschicksalen gedenkt die neue Skulptur, die Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs zusammen mit Vertretern des NS-Dokumentationszentrums und des Bürgervereins Dünnwald (welcher unter anderem die Spenden und Fördergelder für das Denkmal sammelte) Ende September einweihte. Für die Künstler Ruedi und Vera Baur ist es ein lebensfrohes Denkmal. Bewusst entschieden sie sich für bunte Farben, denn so unterschiedlich die Motivationen der Deserteure auch waren – ob aus Überzeugung gegen das Regime, Pazifismus oder schlicht um den Grausamkeiten des Vernichtungskrieges zu entkommen – sie alle wollten leben und nicht für Führer und Vaterland sterben. 

Späte Rehabilitierung für die Hinterbliebenen

Für die anwesenden Angehörigen indes ist das Denkmal auch der Versuch einer späten Wiedergutmachung. Noch viele Jahre nach Kriegsende wurden die Deserteure und Kriegsdienstverweigerer als Verräter und Feiglinge geächtet, die Hinterbliebenen diskriminiert und ausgestoßen. Während bekannte NS-Juristen auch im Nachkriegsdeutschland ihre Karrieren fortsetzen durften – erst Jahrzehnte später erklärte der BGH die Aufarbeitung der Militärgerichtsbarkeit als fehlgeschlagen und stellte fest, dass viele Richter wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapitalverbrechen hätten zur Verantwortung gezogen werden müssen – bekamen die Hinterbliebenen der hingerichteten Kriegsdienstverweigerer keine Witwen- oder Waisenrenten. Als Dr. Karola Fings, die beim NS-Dokumentationszentrum die Recherche der Schicksale leitete, von einem Landwirt erzählt, der an seinem Hofeingang ein Schild anbrachte, das die Familie eines Pazifisten und Kriegsdienstverweigerers namentlich als nicht willkommen brandmarkte, kann ein älterer Herr die Tränen nicht mehr zurückhalten.

„Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft hatte eine Perversion der Rechtsordnung bewirkt, wie sie schlimmer kaum vorstellbar war, und die damalige Rechtsprechung ist angesichts exzessiver Verhängung von Todesstrafen nicht zu Unrecht oft als „Blutjustiz“ bezeichnet worden. Obwohl die Korrumpierung von Justizangehörigen durch die Machthaber des NS-Regimes offenkundig war, haben sich bei der strafrechtlichen Verfolgung des NS-Unrechts auf diesem Gebiet erhebliche Schwierigkeiten ergeben. Die vom Volksgerichtshof gefällten Todesurteile sind ungesühnt geblieben, keiner der am Volksgerichtshof tätigen Berufsrichter und Staatsanwälte wurde wegen Rechtsbeugung verurteilt; ebensowenig Richter der Sondergerichte und der Kriegsgerichte.“
BGH
Aus dem Urteils des 5. Strafsenats

Im Jahr 2002 hob der Deutsche Bundestag die Urteile gegen Deserteure, Wehrdienstverweigerer, Wehrkraftzersetzer und andere Opfer der NS-Militärjustiz pauschal auf. 2009 folgte die Aufhebung der Urteile gegen Kriegsverräter. Maßgeblich beteiligt an der Rehabilitierung war der ehemalige Deserteur Ludwig Baumann. Sein Zitat „Was kann man Besseres tun als den Krieg zu verraten“ ziert in großen Buchstaben das neue Denkmal.

Text & Bilder: Jan

Danke an die liebe Eva, die uns auf die Einweihung des Denkmals aufmerksam gemacht hat. Wenn auch Ihr Tipps für uns habt, schreibt uns!

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