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Mit Schutzpatronin in den Hafen der Ehe segeln: Vererbt

Mit Schutzpatronin in den Hafen der Ehe segeln: Vererbt

„Was in deutschen Schränken wohl an Schätzen lagert,“ dachte sich Judith Erb, als sie vor ein paar Jahren mit einer frisch verlobten Freundin über Hochzeitskleider sprach. Tolle Kleider, die nur einmal getragen wurden, aber trotzdem eine Geschichte erzählen können wie kaum ein anderes Kleidungsstück. Aus dieser Idee heraus entwickelte die Wirtschaftsingenieurin schließlich das Konzept für „Vererbt“. 

Judiths kleinen Brautmode-Laden muss man erstmal finden. Abseits der großen Einkaufsstraßen liegt er etwas versteckt im Mülheimer Hafen. Für Judith ist es jedenfalls genau der richtige Ort. Ganz bewusst wollte die Neu-Kölnerin kein normales Ladenlokal anmieten. So sitzen wir nun in einem kleinen gemütlichen Raum, aus dem man durch ein großes Fenster hinunter in eine alte Industriehalle schauen kann. Früher wurden hier Schiffe gebaut, heute finden hier freitags und samstags nach Terminvereinbarung die Anproben mit den zukünftigen Bräuten statt.

Auch wenn die Schiffe aus Holz und Stahl auf den ersten Blick nicht viel mit den teils filigranen Brautkleidern zu tun haben, passt das Ganze doch irgendwie bestens zusammen. Im Mittelalter wurden Schiffe häufig nach weiblichen Heiligen benannt. Die Namensgeberin sollte dem Kapitän und der Besatzung Glück bringen. Eines der berühmtesten Beispiele ist sicherlich die Santa Maria, auf welcher sich Christoph Kolumbus einst auf den Weg machte, eine Seeroute nach Indien zu finden. Ein namenloses Schiff hätte kein Kapitän der Welt akzeptiert. So hatte garantiert auch jedes Schiff, das die Mülheimer Werft verließ, einen Namen. Übrigens sind bis heute alle Schiffe grundsätzlich weiblich.

Hier schließt sich nun der Kreis zu Judiths Kleidern. Auch sie tragen alle einen weiblichen Namen. Um genau zu sein, den Namen der Braut, die in ihnen erstmals den Beginn der Ehe zelebrierte. Denn genau das macht den Unterschied zwischen Judiths Brautkleidern und neuen Textilien von der Stange. Ihre Gewänder haben eine Geschichte und einen Charakter und sie sollen der neuen Trägerin Glück bringen.

Rund 100 Kleider hatte Judith nun schon in den Händen. 100 dazugehörige Geschichten hat sie gehört. Viele beginnen in Kneipen oder Bars, auf Partys oder im Karneval. Da unterscheiden sie sich selten von den Geschichten der neuen Paare. Was man allerdings merke, stellt Judith fest, sei, dass die Bräute früher doch deutlich jünger waren als heute. Das mache sich vor allem in der meist kleinen Größe der Kleider bemerkbar. Aber auch sonst gebe es schon ein paar Unterschiede in den Geschichten von damals und heute. Ganz oft höre sie zum Beispiel, dass die Paare gezielt geheiratet hatten, um gemeinsam in eine Wohnung ziehen zu dürfen. (Erst Anfang der 70er Jahre stellte der Bundesgerichtshof klar, dass Mietverträge mit unverheirateten Paaren nicht sittenwidrig und damit auch zivilrechtlich anerkannt sind. In der Vorkriegszeit hatten Vermieter sogar Gefängnisstrafen riskiert, wenn sie unverheirateten Paaren eine Wohnung vermietet hatten.) Auch die seinerzeit weit verbreitete Tradition des großen Polterabends finde man heute selten. Sie selbst sei jedenfalls noch nie auf einem Polterabend eingeladen gewesen. Dafür würde heute der Hochzeitstag selbst in wesentlich größerem Rahmen gefeiert als früher üblich.

Das Wichtigste an den Geschichten sei für sie jedoch, dass sie das Gefühl vermitteln, da leben zwei Menschen zusammen, die an ihre Liebe glauben. Schließlich will Judith nur Brautmode aus glücklichen Ehen weitergeben. Genau dieses „Erbe“ und die Idee des Kleids als Glücksbringer zieht – neben dem Interesse für die Mode der damaligen Zeit – die Kundinnen an.

Wer also auf der Suche nach einem ganz besonderen Hochzeitskleid ist, sollte unbedingt einen Anprobetermin bei Judith vereinbaren.

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