Anne – Die Welten-Chemikerin
Wir stehen vor einem betagten Industriebauwerk in Mülheim. Früher war es das Domizil der Bleifarbenfabrik Lindgens & Söhne. Heute sind hier verschiedenste Künstler und Medienschaffende sowie die Lindgens Kantine – die auch die Hafenterrasse mitbetreibt – beheimatet. Auf dem Klingelschild steht „ungleicheins“. So heißt der Atelier-/Bürozusammenschluss, den die Fotografin Anne Barth, die wir heute besuchen, mitgegründet hat.
Annes Werdegang passt perfekt zur Tradition des alten Backsteingebäudes. Begonnen hat sie mit einem Chemiestudium, mit dem sie auch vor hundert Jahren schon in der alten Farbenfabrik hätte arbeiten können. Mit einem Tausch von Haupt- und Nebenfach schwenkte sie jedoch auf Mineralogie um und sie schloss ihr Studium mit Schwerpunkt Geochemie und Vulkanologie erfolgreich mit dem Diplom ab.
Von der Chemie zur Fotografie
Ihre Doktorarbeit führte sie schließlich im Auslandssemester nach Neuseeland, wohin auch Frodo Baggins schon im Herr der Ringe reiste, um in den Vulkanlandschaften sein Schicksal zu finden. Ganz so dramatisch war es bei Anne natürlich nicht. Statt einen Ring in den Vulkan zu werfen, wollte sie eigentlich Proben entnehmen. Doch oben auf den Bergen angekommen, merkte sie schnell, dass ihr erster Griff statt zu den Messinstrumenten meist zur Kamera ging.
Serie „Cutan“ von Anne Barth
Bedingt durch den chronischen Geldmangel im deutschen Hochschulsektor und den aufkommenden Frust über ständig defekte und veraltete Geräte kam Anne schließlich an den Punkt, wo sie sich fragte „Was machst du hier eigentlich?“. Als nach ihrer Rückkehr nach Deutschland dann noch immer keine Forschungsgelder für sie verfügbar waren, entschied sie sich für ein berufsbegleitendes Studium an der Fotoakademie.
Weg von der Landschaftsfotografie ist Anne mittlerweile vor allem im konzeptionellen Bereich gelandet. Das Erschaffen von Welten liege ihr mehr als das einfache „Rausgehen und Knipsen“. „Ich bin schon ein bisschen pedantisch und kann gerade bei Stillleben auch gerne mal die Möhre stundenlang von links nach rechts verschieben, bis alles passt“, erklärt Anne und lacht. Sie bastle und baue einfach super gerne und so entstand auch gerade ihre neueste Serie, die als Collage konzipiert ist und das zweidimensionale Medium des Bildes durchbricht.
Eigene Welten erschaffen
Neben dem Südafrikaner Pieter Hugo ist Erwin Olaf ihr großes Vorbild. An der Fotoakademie habe sie das Glück gehabt ihn persönlich kennenzulernen, als er als Gastdozent eingeladen war. Der niederländische Fotograf arbeitet vor allem sehr szenisch-inszeniert und ist für seine sorgfältig erschaffenen und ausgeleuchteten Welten bekannt. „Irre tolle Bilder“, fasst Anne es anerkennend zusammen.
Ein gutes Bild muss für Anne in erster Linie ästhetisch ansprechend sein, was aber natürlich subjektiv sei. Es sei allgemein schwierig, das so pauschal zu beschreiben. „Wenn man mehrere Bilder eines Fotografen sieht und merkt, da steckt eine Idee dahinter. Und es ist eben nicht einfach drauflos geknipst“, versucht sie es dann aber doch auf eine Formel herunter zu brechen. Die Idee müsse dabei auch nicht so offensichtlich sein wie in konzeptionellen / inszenierten Arbeiten, sondern könne durchaus subtiler über die Bildgestaltung eingebracht werden. Ob über die Komposition oder auch die Arbeit mit Farben, für welche zum Beispiel Alex Webb, ein weiteres ihrer Vorbilder, bekannt ist.
Aktuell arbeitet Anne an einer Portrait-Serie der Kölner Intendanten und hofft, dass sie zur Theaternacht 2019 eine Ausstellung mit Portraits der gesamten freien Theaterszene eröffnen kann. Trotzdem ist ihr Interesse an der Chemie nicht verloren gegangen: Sie kann es in der analogen Fotografie bzw. der Entwicklung in der Dunkelkammer ausleben. Für den Winter hat sie sich entsprechend fest vorgenommen in die Kollodium-Nassplatten-Fotografie einzusteigen. „Ich habe das große Glück jetzt endlich eine Plattenkamera zu besitzen und mit meinem Background in Chemie sollte das hoffentlich ganz gut funktionieren“, stellt sie fest und schmunzelt.
Wir sind auf jeden Fall schon gespannt, was dabei herauskommt und werden Euch natürlich rechtzeitig über zukünftige Ausstellungen informieren. Ansonsten könnt Ihr jederzeit Annes Blog oder ihrer Facebook-Seite folgen.
Text: Jan Bilder: Anne Barth